zondag 19 augustus 2012

09.08.2012 Mann über Bord, Gala und flaue Mägen...

09.08.2012

Mann über Bord, Gala und flaue Mägen...

Nach Helgoland ging ein Mann über Bord. Nicht bei uns, aber irgendwo in der Nähe. Wäre er bei uns von Bord gegangen, hätte es drei lange und nicht zu überhörende Töne hintereinander durch die Bordlautsprecher gegeben, steht in den Sicherheitsbestimmungen. Unser Schiff hat bei der Suche geholfen, bis uns die Küstenwache von unserer Pflicht entbunden hat. Ob sie ihn gefunden haben, den Mann über Bord, oder nur die Suche aufgegeben haben, ist unklar.
In den Sicherheitsbestimmungen steht auch, dass man der Person, die über Bord geht oder ins Meer fällt, schnellstmöglich einen Rettungsring zuwerfen soll. Behalten Sie die Person im Blick und lösen Sie Alarm aus, indem Sie mit lauter Stimme „Mann über Bord auf der linken bzw. rechten Seite des Schiffs“ (in Fahrtrichtung) rufen. Rufen Sie dies bitte so lange, bis ein Crewmitglied handelt. Herrje, wie hilflos kann man sein? Aus rein egoistischen Gründen, aber auch im Sinne der anderen hoffe ich, dass niemand das Schiff auf diesem Weg verlassen möge.

Apropos: Wir sind wir auf dem Weg nach Edinburgh. Ein Tag auf dem Schiff, ein Tag auf dem Wasser. Und das geht so:


Wer keine Lust auf Bar oder Pool, Liegestuhl oder Kabine hat, kauft ein (von Uhren, über Schmuck oder Handtaschen über Klamotten und Frisuren bis hin zu iPhones kriegste hier alles), leiht sich Spiele aus oder nimmt an einem Tanzkurs teil. In mehreren Bars stehen deshalb Menschen mit kreisenden Köpfen, die auf Kommando tief ausatmen.
Auf dem Oberdeck, das mehrfach erwähnte Deck 11 (ja, ziemlich weit vorne auf der Liste meiner Lieblingsdecks), liegen viele Passagiere im Wind und sonnen sich. Dazu singt Andrea Bocelli Time to say goodbye auf Italienisch, und irgendwie ist das eine gute Kombination. Eine Frau setzt sich irgendwann an meinen Tisch, sie ist aus Deutschland, es ist ihre erste Kreuzfahrt („Ist das Ihre erste Kreuzfahrt?“ ist Ausgangspunkt fast jedes Gesprächs), und sie wirkt ein bisschen desillusioniert: „Immer wollte ich eine Kreuzfahrt machen, und man kriegt hier wirklich alles auf diesem Schiff. Es ist wirklich für jeden etwas dabei, außer man will seine Ruhe.“ In ihrer Verzweiflung war sie sogar in der Bibliothek, die aber auch voll besetzt war. Ja, es sind über 2000 Menschen auf diesem Schiff - wer keine Menschen mag oder immer nur zeitweise, dem kann es zu eng werden.

Der Abend ist ein Gala-Abend. Heißt: Von 19:45 bis 20:30 gibt es Cocktails, und ich habe den Eindruck, dass alle diesen Programmpunkt wahrnehmen. In langen, kurzen und gar keinen Roben, aber trotzdem schick, ist jede Bar voll und jede Hand hält ein Glas. Die Stimmung ist heiter bis ausgelassen, beim Gala-Abendessen ist das anstehende Foto mit unserem Kapitän Raffaele Jaccarino auf Deck 6 von 22:15 Uhr bis 22:45 Uhr fast überall Thema. Woher kommt eigentlich diese Faszination für Kapitäne? Und was macht der Kapitän eigentlich den ganzen Tag? Also, nicht, dass ich ihm unterstellen will, dass er nichts tut, aber was genau er tut und wie der Arbeitstag des Kapitäns aussieht, das würde mich echt interessieren. (Ich werde versuchen es rauszufinden, solange ich hier bin.)
Nach den Fotos gibt es die Galashow „Temptations“ im Broadway Theatre mit Einradkunststücken und Tanzeinlagen.


Dann noch Tanzwettbewerb und dann noch Disco.
Ich schaffe es leider nur bis zum Ende der Galashow. Ich würde von unruhigem Magen in Folge von unruhiger See sprechen. Ich bin ein bisschen stolz, weil ich länger durchgehalten habe als andere, die bereits während des Abendessens fluchtartig den Tisch verließen mit Gesichtsfarben, als wären sie eine Runde zu lange in der Achterbahn gewesen. Und ich bin ein bisschen enttäuscht, dass mir überhaupt flau wird. Ich wollte sagen können, dass ich immer seegesund war, stattdessen flüstere ich ein letztes Ahoi in den Wind und schaukle noch ein bisschen im Rhythmus des Schiffes, in meinem Bett liegend und auf Schlaf wartend.
Bis morgen früh, Edinburgh!