zondag 19 augustus 2012

16.08.2012 Vom Winde verweht, vom Sturm geschüttelt...

16.08.2012

Vom Winde verweht, vom Sturm geschüttelt...

Als ich mich abends ins Bett lege, setzt draußen Regen ein. Er klatscht gemütlich an die Schiffsaußenwand. Ich kann so gut schlafen auf diesem Schiff, ich überlege, wie ich das Schwanken auf meine private Wohnsituation übertragen kann.
Um kurz nach 8:00 Uhr werde ich von der Stimme des Kapitäns über die Kabinenlautsprecher wach.
Es tut ihm schrecklich leid, aber unser geplanter Halt in Cork muss ausfallen, da das Wetter eine Einfahrt in den Hafen unmöglich macht. Wir haben eine Windgeschwindigkeit von 47 Knoten, was 88 km/h entspricht. Zwischen zwei Wellen sagt er, dass der Wetterbericht schlecht aussieht, es soll nicht besser, eher schlechter werden. Ich wanke zum ersten Kaffee und pralle unkoordiniert links und rechts gegen die Gangwände. Mein Magen hängt mal oben an der Decke von Deck 9, dann habe ich das Gefühl ich muss ihn auf Deck 7 abholen. Huh! Tief einatmen!! Tief ausatmen!!
Und nicht nach unten gucken, immer schön den Kopf oben halten. Unten, gar nicht gut. Oben, besser!! Huh!

Der Kapitän meldet sich wieder. Er hat beschlossen, dass es das Beste ist, jetzt und ohne Umwege Amsterdam anzusteuern - unser nächster Halt, der eigentlich erst für übermorgen geplant war. Unvorhergesehen ein Tag mehr auf See, auf stürmischer See. Als ich in der Bar ankomme, wo ich meinen ersten Kaffee einnehmen will, zähle ich innerhalb von 15 Minuten vier Menschen, die an mir vorbei, die Hand vor dem Mund und Übelkeit in den Augen auf´s Klo rennen. Eine Frau schwankt an den Nebentisch und rät davon ab, die Bar zu verlassen, weil sich gerade davor jemand übergeben hat. Huh!
Draußen reichen die Wellen bis zu den Fenstern von Deck 6. Das Problem bei heftigem Seegang ist, zumal wenn man es noch nie erlebt hat, dass man ständig seinen eigenen Zustand überprüft. Ist mir schlecht? Ein bisschen? Wird mir gleich schlecht? Muss es mir schlecht werden? Alleine durch diesen ständig rotierenden Gedankensalat wird mir flau. Ist mir flau? Noch nicht? Ein bisschen? Und gleich? Huh!
Aber am schlimmsten ist jemanden zu sehen, dem es schon schlecht ist. Dieser Gesichtsausdruck kurz bevor jemand auf die Toilette rennt. Herrje! Ich muss mich hinlegen. Ich schaffe es bis zu meiner Kabine, und im Liegen geht´s. Vielleicht sollte ich essen? Vielleicht sollte ich grade nicht essen? Vielleicht sollte ich einfach liegen bleiben!

Um 16 Uhr raffe ich mich auf und gehe ins Broadway Theatre. Kreuzfahrtdirektorin Claudia hat eine PowerPoint Präsentation vorbereitet und erzählt was über das Schiff. Ich liege in den hintersten Reihen des Theaters und versuche, mich nicht zu bewegen, das macht das Schiff für mich. Huh!
Faszinierend, was hinter den Kulissen eines Schiffes abgeht. Das Wasser auf Schiff wird beispielsweise aus Meerwasser gewonnen, im Vakuum erhitzt und das Salz zurück ins Meer geleitet. Dann wird das Wasser mit Chlor und Mineralien versetzt und dann in Wassertanks gespeichert. Wenn ich richtig aufgepasst habe, verbrauchen wir 700 Tonnen Wasser pro Tag, und die Wasserentnahme aus den Tanks muss geregelt werden, damit das Schiff nicht in Schieflage gerät. Wir verbrauchen 1000 Kilometer Klopapier auf dieser Reise. Pro Tag verbrauchen wir 140 Tonnen Schweröl auf See, hauptsächlich für die Navigation des Schiffes. Im Hafen liegt der Verbrauch bei 22 Tonnen überwiegend für die Elektronik. Alles steht unter der Verantwortung des Kapitäns, der gerade auf der Brücke ist und uns aus dem Sturm rausnavigiert. Es soll auch Kapitäne geben, die seekrank werden, „aber unser Kapitän steht seinen Mann“, sagt Claudia. Beruhigend!

Vor dem Abendessen muss ich mich noch einmal hinlegen. Ich schaffe es jeweils grade so in die Horizontale. Auf Kanal 31, dem Schiffskanal läuft zum 8. Mal Vom Winde verweht. Huh!

Die Wahl für meine erste Mahlzeit des Tages fällt auf Buffet, Deck 11. Kein guter Aufenthaltsort bei starkem Seegang. Ich habe das Gefühl, dass das Schiff immer weiter steigt, bevor es wieder hart auf´s Wasser fällt, zusammen mit frischer Pizza und diversem Geschirr. Ich bin in einer Schiffsachterbahn, als würde die Wilde Maus auf dem Rummel nie wieder anhalten. Einer Frau am Nebentisch geht es ähnlich: „Haltet das Schiff an, ich will das nicht mehr“, sagt sie immer wieder. Der beste Ort, wie ich jetzt weiß, ist übrigens auf den unteren Decks und in der Mitte des Schiffs - das nur als Tipp.

Aus oben beschriebenem Anlass bittet um Verständnis, dass es heute keine Fotos zum Text gibt,

Ihre heftigst geschüttelte Katrin Bauerfeind.